WESTERWELLE: Politikwechsel braucht Mut und Ausdauer

04.02.2010

FDP-Sprecher WULF OEHME teilt mit:

Berlin. Zur 100-Tage-Bilanz der christlich-liberalen Bundesregierung schrieb der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE an alle Mitglieder der Freien Demokratischen Partei den folgenden Brief:

Liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde,

100 Tage ist die neue Bundesregierung jetzt im Amt. Trotz aller Anfangsschwierigkeiten stimmen die ersten Ergebnisse. Aber niemand kann erwarten, dass wir in den ersten 100 Tagen alles umdrehen können, was in 11 Jahren falsch gelaufen ist.

Wir wollen den Politikwechsel. Dafür wurden wir gewählt. Das braucht Mut und Ausdauer. Der Gegenwind war absehbar.

Wir werden dafür kritisiert, dass wir das umsetzen, was wir vor der Wahl versprochen haben. Die Kritik wäre nicht geringer, würden wir dies nicht tun. Gleichzeitig weiß ich, wie viel Kraft es Sie vor Ort kostet, dieser Kritik zu begegnen. Aber genau darum bitte ich Sie. 14,6 Prozent bei der Bundestagswahl für die FDP sind der eigentliche Grund für die anderen Parteien, sich an uns abzuarbeiten, leider nicht nur mit Argumenten, sondern zum Teil auch mit regelrechten Verleumdungen.

Was wir in der Koalition bereits für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erreicht haben, kann sich sehen lassen:

1. Familiengründung darf kein Armutsrisiko sein

Mit 4,6 Milliarden Euro jährlich entlasten wir seit dem 1. Januar die Familien. Dabei gingen 600 Millionen Euro in höhere Kinderfreibeträge und 4 Milliarden Euro in die Erhöhung des Kindergeldes. Das heißt zum Beispiel für einen Gesellen, verheiratet, mit zwei Kindern und einem Jahreseinkommen von ungefähr 25.000 Euro, dass er jetzt überhaupt keine Steuern mehr zahlen muss und 536 Euro mehr zur Verfügung hat. Wer das eine Politik für wenige Reiche nennt, hat den Bezug zum normalen Leben verloren.

2. Mittelstand stärken

Bei der Unternehmensbesteuerung haben wir die gröbsten Fehler korrigiert: Die Wiedereinführung der Sofortabschreibung, die Abmilderung der Zinsschranke, die steuerliche Verbesserung für Betriebe in wirtschaftlicher Sanierung und vor allem die Erleichterung des Übergangs von Familienunternehmen bei der Erbschaftsteuer haben wir durchgesetzt. Mittelstandspolitik ist keine Klientelpolitik, sondern eine Politik für Arbeits- und Ausbildungsplätze.

Manche halten die beschlossene Verbesserung der Erbschaftsteuer für Steuertechnik. Für uns ist es Ausdruck unseres Familienbildes, dass Geschwister, Nichten und Neffen im Steuerrecht nicht länger wie Fremde behandelt werden.

Mit der Abwrackprämie wurden dagegen im letzten Jahr Milliarden in alte Autos gesteckt. General Motors wurden deutsche Steuermilliarden hinterher getragen. Es war unser Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, der dieses Geld zurück geholt hat.

Und auch die Senkung der Mehrwertsteuersätze für das überwiegend mittelständisch geprägte Übernachtungsgewerbe ist ein Erfolg. Die Umsetzung wird selbstverständlich so ausgestaltet, dass kein Zuwachs an Bürokratie entsteht. In 21 von 27 Ländern in der EU war das bereits Rechtslage. Übrigens: Die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Übernachtungen ist eine Forderung, die auch aus allen anderen Parteien im Wahlkampf erhoben wurde. Sie stand auch in Wahlprogrammen und Anträgen der politischen Konkurrenz. Das zeigt, wie verleumderisch und absurd der Vorwurf war, wir hätten nur wegen irgendwelcher Spenden unser Bundestagswahlprogramm umgesetzt.

3. Ein Schutzschirm für Arbeitnehmer

Die krisenbedingten Mindereinnahmen in den Sozialversicherungen dürfen nicht zu permanenten Beitragserhöhungen führen. Deswegen haben wir im Bundeskabinett im Dezember das Sozialversicherungsstabilisierungsgesetz beschlossen, damit Arbeitnehmer und Arbeitgeber besser geschützt werden. Wer milliardenschwere Rettungspakete für die Großen geschnürt hat, soll uns nicht vorwerfen, wenn wir die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht im Regen stehen lassen wollen.

Klar ist aber auch: Die Folgen einer jahrelangen verfehlten Gesundheitspolitik werden jetzt sichtbar. Die FDP ist für die Erblast der schwarz-roten Koalition nicht verantwortlich. Aber mit unserem liberalen Gesundheitsminister Philipp Rösler stellen wir uns der Aufgabe, sie abzuarbeiten.

4. Mehr Bildung und mehr Forschung

In den vergangenen Jahren hieß es in Sonntagsreden immer wieder: Wir brauchen mehr Investitionen in Bildung und Forschung. Wir Liberale setzen das jetzt in die Tat um: Die Bundesregierung wird bis 2013 insgesamt 12 Milliarden Euro zusätzlich in Bildung und Forschung investieren. Diese Mittel fließen in alle Bereiche unserer Bildungslandschaft: Von der frühkindlichen Sprachförderung und -bildung über berufliche Bildung bis hin zu Hochschulen und der Weiterbildung. Weil Bildung Vorrang hat, werden wir noch in diesem Jahr ein nationales Stipendienprogramm sowie die BaföG-Erhöhung beschließen. Bildung ist für uns Liberale ein Bürgerrecht.

5. Vorsorge und Eigenverantwortung wird belohnt

Bisher galt: Wer Arbeitslosengeld II bezieht, musste vorher seine angesparte Altersversorgung nahezu aufbrauchen. Jetzt wird gelten: Wer für das Alter vorsorgt, der soll auch etwas davon haben. Deswegen haben wir die Verdreifachung des Schonvermögens von 250 auf 750 Euro pro Lebensjahr auf den Weg gebracht. Wir haben in den ersten 100 Tagen mehr soziale Verantwortung bewiesen als unsere Kritiker in den gesamten letzten 11 Jahren ihrer Regierungsverantwortung.

6. Haushalt konsolidieren

Die Nettokreditaufnahme im Bundeshaushalt ist erschreckend hoch. Sie ist aber eben nicht höher als es der Entwurf der letzten schwarz-roten Regierung vorgesehen hat. Allerdings haben wir gleichzeitig die Bürgerinnen und Bürger, besonders die Familien und den Mittelstand steuerlich entlastet. Natürlich werden wir in den Haushaltsberatungen auf solide Staatsfinanzen setzen und in dieser Legislaturperiode bei den Staatsausgaben umsteuern. Aber wir dürfen gleichzeitig nicht vergessen: Ohne Wachstum gibt es keine soliden Staatsfinanzen. 100.000 neue Arbeitsplätze bedeuten für die Staatsfinanzen ein Plus von etwa 2 Milliarden Euro. Das zeigt doch, dass unsere Politik für Arbeits- und Ausbildungsplätze zum Beispiel durch faire Steuern gleichzeitig der Gesundung unserer Staatsfinanzen dient.

7. Bürgerrechte respektieren

Angefangen unter Rot-Grün und fortgesetzt unter Schwarz-Rot hat sich ein fataler Trend entwickelt: Immer mehr staatlich gesammelte Daten sollten den Bürgerinnen und Bürgern ein Mehr an Sicherheit vorgaukeln. Die vergangenen 11 Jahre waren verlorene Jahre für die Bürgerrechte in Deutschland. Mit unserem Koalitionsvertrag und unserer liberalen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger haben wir diesen Trend gestoppt.

8. Außenpolitik ist Friedenspolitik

Erste neue Akzente konnten wir auch in der Außenpolitik setzen: Wir treten für die Menschenrechte auch in schwierigen Gesprächen ein. Und vor der Wahl haben wir versprochen, dass wir für unsere Soldatinnen und Soldaten eine Abzugsperspektive in Afghanistan in den nächsten fünf Jahren erarbeiten werden. Wir wollen in Afghanistan unsere Sicherheit vor Terror schützen und den Menschen helfen. Militärisch allein ist Afghanistan aber nicht zu gewinnen, sondern nur durch einen breiten zivilen politischen Ansatz. Den unterstützt auch unser Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Dirk Niebel und trägt mit seiner Politik für sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbau zur inneren Aussöhnung Afghanistans bei. Genau diesen Strategiewechsel sieht das Afghanistankonzept der Bundesregierung vor. Genauso haben sich jetzt fast 70 Staaten auf der Londoner Konferenz neu aufgestellt und wir Liberale hatten unseren Anteil daran.

Liebe Parteifreundinnen, liebe Parteifreunde,

unsere erste Bilanz zeigt, dass wir Wort halten, unseren Weg unbeirrt weitergehen und uns nicht durch Stimmungsmache beirren lassen. Hat irgendjemand erwartet, dass unsere politischen Konkurrenten uns für unseren Erfolg loben?

Der Wind wird noch weiter an Schärfe zunehmen. Wir haben aber auch in Zukunft und schon bald im Mai in Nordrhein-Westfalen mit Andreas Pinkwart an der Spitze beste Voraussetzungen, um unser Ergebnis bei der Landtagswahl gegenüber 6,2 Prozent vor fünf Jahren deutlich zu verbessern und wieder den Regierungsauftrag zu erhalten. Erst recht wenn die Menschen vor der Entscheidung stehen: Christlich-liberal oder Rot-Rot-Grün? Denn genau das ist die Alternative zu unserer Koalition der Mitte: Eine linke Republik.

Als Außenminister bin ich zu Diplomatie verpflichtet – im Ausland. Persönlich verspreche ich Ihnen: Klarheit im Kurs und Klarheit in der Aussprache werden auch weiterhin meine Markenzeichen sein. Und dass ich dabei mit Christian Lindner einen so überzeugenden Generalsekretär an meiner Seite habe, ist ein wichtiger Beitrag zu unserem liberalen Erfolg. Genauso freue ich mich über die Rückendeckung der Bundestagsfraktion mit Birgit Homburger an der Spitze. Sie können sich auf uns verlassen. Meinerseits verlasse ich mich auf Sie, auf die Standfestigkeit und die Kampfkraft unserer Partei.

Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre Unterstützung und Ihren Einsatz vor Ort.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr
Dr. Guido Westerwelle

PS: Wenn Sie mehr wissen wollen, schreiben Sie uns oder senden Sie uns eine
E-Mail an info@fdp.de