Rede zu Drucksache 18/1346 Vorplanung für die Carl-UlrichStraße/ Schleussnerstraße – Friedhofstraße incl. RTW u.a.
Frau Stadtverordnetenvorsteherin, sehr geehrte Damen und Herren,
lassen Sie mich beginnen mit einem klaren Ja zum Ausbau des ÖPNV und einem Ja zur RTW. Die Kapazitäten im S-Bahn-Tunnel Frankfurt sind erschöpft, eine direkte Bahnanbindung des Umlandes an den Flughafen und den Industriepark Höchst sehen wir als unausweichlich an. Wir brauchen aber hier noch mehr: Eine Regionaltangente Ost und Süd; Fernziel sollte eine Ringverbindung rund um Frankfurt sein. Ob aber eine Trassenführung bis ins Birkengewann hierzu wirklich beiträgt, steht in den Sternen. Doch dazu später mehr.
Hier und heute fällen wir eine Grundsatzentscheidung, die den wohl größten Eingriff ins Verkehrsnetz Neu-Isenburgs in der jüngeren Geschichte zur Folge haben und erheblichen Einfluss auf das Erscheinungsbild der Stadt nehmen wird.
Beginnen wir bei der Länge der Züge und den erforderlichen Baumaßnahmen: Es müssen und werden 100 Meter-Züge eingesetzt werden, alles andere ist ein frommer Wunsch. Und diese Züge werden ganztätig verkehren; die vom Magistrat vorgelegte Änderung zu Nr. 4 der Drucksache ist hier lediglich eine Beruhigungspille, mehr nicht. Was bedeutet das für das Erscheinungsbild der Friedhofstraße, die bereits jetzt in Höhe des Birkengewanns durch eine gleichförmige weiße Wand – ich meine das Epsilon-Gebäude – dominiert wird? Nun, es werden im Birkengewann und am Ärztezentrum zwei weitere Wände in Form 100m langer Hochbahnsteige hinzukommen. Wollen wir hier wirklich an einer Straße, die jetzt noch ein wenig Auflockerung in Form eines Grünstreifens zu bieten hat, den Eindruck einer Betonwüste schaffen oder verstärken? Wir haben derzeit auf der Friedhofstraße mit dem Grünstreifen zumindest einen „grünen Lichtblick“ (auch wenn die Bäume unabhängig von der RTW gefällt werden müssten – man kann sie ja wieder neu pflanzen!); den sollten wir nicht auch noch preisgeben.
Auch die notwendigen Oberleitungen werden nicht gerade zur Verschönerung des Stadtbildes beitragen. Die Überlegung „Stromschienen“ konnte bedauerlicherweise nicht weiter verfolgt werden, da dies das Betriebskonzept der RTW nicht vorsieht.
Neu-Isenburg droht zur geteilten Stadt zu werden! Was die Friedhofstraße derzeit aufgrund ihrer Ebenerdigkeit noch nicht geschafft hat, könnte durch die Gleisanlage traurige Realität werden. Die Trasse wird an dieser Stelle zwei Wohngebiete deutlich voneinander abtrennen und dabei insbesondere den Buchenbusch von der Nahversorgung nördlich der Friedhofstraße abschneiden. Die Trennung bzw. Teilung wird sich nach unserer Auffassung in erster Linie im Osten der Stadt bemerkbar machen; im Westen der Stadt hingegen – entlang der von uns weiterhin favorisierten Strecke bis zum Stadttor – gibt es südlich des bestehenden Bahndamms nur relativ wenige Wohnungen.
Doch die Errichtung der Gleisanlage ist nur eine Facette: Auch der Individualverkehr wird durch Aufgabe der Vierspurigkeit massiv eingeschränkt; eine fahrbahngleiche Führung des Schienenverkehrs, der eine Beibehaltung der bestehenden Fahrspuren ermöglicht hätte, wurde mangels Förderfähigkeit nicht weiter verfolgt. Und das, obwohl wir auch im Planfall V.2.2. gegenüber heute eine deutliche Zunahme des PKW-Verkehrs von rd. 130 Tsd. per heute auf 147 Tsd. in 2030 hinzunehmen haben. Diesen anwachsenden PKW-Verkehr mit einer zweispurigen Friedhofstraße, einer Mobilitätsstation mit weniger als 300 Parkplätzen im Birkengewann und einer RTW im Halbstundentakt auch zu Spitzenzeiten abzuwickeln, erscheint mir sehr ambitioniert.
Vergessen wir hier auch nicht den Anfahrtverkehr zum IZ: Bereits jetzt sehen wir, dass die Rechtsabbiegerspur aus Richtung Osten kommend vor der Herzogstraße insbesondere zu Weihnachtszeit und an Wochenenden quasi zu einer Wartespur in das IZ-Parkhaus geworden ist. Wie wollen wir dieses IZ-bezogenen Verkehrs Herr werden, wenn die Fridhosftraße verengt wird? Ein Besucher des IZ wird wohl kaum seinen Wagen an der Mobilitätsstation Birkengewann abstellen und dann die RTW nehmen….
Überhaupt zum Thema Nutzerzahlen: Eine verlässliche Untersuchung existiert bis heute nicht und wurde auch nicht beauftragt; hierauf hat selbst das Büro H+F mehrfach hingewiesen. Wie aber sollen wir hier eine Entscheidung treffen ohne zuverlässige Nutzerzahlen? Insgesamt soll es im Planfall V.2.2 zu 19.750 Mehrnutzern des ÖPNV gegenüber heute kommen – wohlgemerkt schließt dies alle Wege in Neu-Isenburg mit dem ÖPNV ein, also auch solche, die gar nicht mit der RTW zurückgelegt werden! Das heißt, nur ein Teil der 19.750 Mehrnutzer wird auch tatsächlich die RTW nutzen.
Von welchen Nutzerzahlen sprechen wir überhaupt? In der Planfallbetrachtung V verglichen mit Planfallbetrachtung I gehen der Verkehrsplaner von einem zusätzlichen Fahrgastaufkommen auf dem Abschnitt ins Birkengewann von 5.800 Wegen/24h aus, dies entspricht nach der Modellrechnung maximal 720 Wegen je Spitzenstunde (und damit der Kapazität einer RTW-Bahn). Was passiert außerhalb der Spitzenstunden? Wir befürchten, dass die RTW im Abschnitt Ost weitestgehend leer verkehrt. Im Abschnitt West sieht das schon wieder anders aus; allein schon das IZ sowie die große Zahl der erreichbaren Einwohner westlich des Stadttores sollten für ein Mindestmaß an Auslastung sorgen. Mit einem prognostizierten Rückgang um rund 15 Tsd. Pkw/24 h liegt der weitaus größte Anteil an Nutzern im Bereich westlich des Stadttores.
Völlig ratlos hat mich jedoch die Präsentation im BPUV am 8.5.2019 zurückgelassen, als eine Hochrechnung der zusätzlichen Nutzer an allen Haltestellen im Stadtgebiet präsentiert wurde. Hier setzen sich die 19.750 Nutzer aus einem Mehraufkommen an allen Haltestellen zusammen; addiert man die Nutzerzahlen entlang der RTW-Strecke, so errechnet sich ein Mehraufkommen entlang der Ost-West-Achse von nur 3.650 Nutzern (Unterlage präsentieren). In einem Schreiben des Herrn Amann an den BM Hunkel vom 15.5.2019 wiederum wird dargelegt, dass werktäglich zwischen 1.300 und 6.100 Personen die RTW benutzen werden – davon in den beiden westlichen Abschnitten im Querschnitt 3.000 bzw. 2.500, in den beiden östlichen hingegen nur 800 bzw. 700 (jeweils Querschnittsbelastung). Aber welche Zahlen man hier auch zugrunde legen mag – auf die Nutzung der RTW entfallen nur rund 15 %, maximal 20 % der Umsteiger! Scheint das Vorhaben gerade im Abschnitt Ost nicht deutlich überdimensioniert?
Eine Verlängerung ins Birkengewann macht aber nur dann Sinn, wenn tatsächlich in erheblicher Zahl Menschen zum Umsteigen animiert werden. Wo sollen jedoch die Umsteiger herkommen? Mit einer P & R-Station, wie im Birkengewann vorgesehen, mit 270 PKW- und 40 Fahrradstellplätzen – resultierend aus einem unterstellten zusätzlichen PKWAufkommen bis zu dieser Station von gerade mal 1.316 Pkw/24 h – wohl kaum.
Übrigens: Eine aktuelle NKU, die für den Mai dieses Jahres in Aussicht gestellt wurde, liegt weiterhin nicht vor. Neben einer zuverlässigen Schätzung der Nutzerzahlen ist dies ein weiterer wichtiger Baustein der Entscheidungsfindung, der uns bis heute fehlt.
Auch ein Finanzierungskonzept wurde bis heute nicht vorgelegt, obwohl von einem Eigenanteil der Stadt Neu-Isenburg von mindestens 40 Mio EUR auszugehen ist (Eigenanteil an Planungs- und Erstellungskosten RTW rd. 26 Mio EUR brutto, Tiefbau Straße rd. 14 Mio EUR – Bau der RTW vorausgesetzt – hier noch ohne Mobilitätsstation Ost, deren Kostenträgerschaft unklar ist). Kosten scheinen aber in der allgemeinen Euphorie keine Rolle zu spielen, ich hätte mir gewünscht, dass bei den Diskussionen der vergangenen Jahre rund um den Aus- und Umbau der HuHa/Stabi eine ähnliche Freigiebigkeit geherrscht hätte.
Im Planfall V.2.2. sind zusätzlich 19.750 ÖPNV-Nutzer zu erwarten; auf die Nutzung der RTW selbst entfällt nur ein kleiner Anteil. Das zusätzliche Fahrgastaufkommen setzt aber auch eine Optimierung der verbleibenden Buslinien voraus. Wird diese tatsächlich kommen? Für uns ist das ungewiss; sicher ist nur, dass es zu einer „Einkürzung“ der Buslinien X17 und X19 kommen wird.
Der Planfall V.2.2 sieht weitere Maßnahmen vor, z. B. ein Parkraummanagement. Dessen Ziel soll es sein, u.a. auch Dauerparker (Fluggäste) abzuschrecken. Dies wird man aber nur durch eine Bepreisung bzw. weitere zeitliche Einschränkung des bislang freien Parkraums erreichen können. Unser Einzelhandel und die lokale Wirtschaft insgesamt werden dies zu spüren bekommen. Ein weiterer Baustein ist auch die Optimierung der Lichtsignalanlagen sein: also auch die Installation von Pförtnerampeln. Parkraummanagement und Pförtnerampeln führen jedoch nicht zur Verkehrsvermeidung, sondern – wie die Einspurigkeit der Friedhofstraße auch – lediglich zur Verkehrsverdrängung. Staus vor den Stadttoren, aber auch negative Folgen für die Bewohner selbst, die nicht auf den PKW verzichten können, werden die Folgen sein. Was passiert eigentlich, wenn Nachbarkommunen in den Verdrängungswettbewerb einsteigen? Wird dann nicht doch wieder Verkehr nach NeuIsenburg zurückgedrängt?
Für uns drängt sich der Verdacht auf, dass die Verlängerung ins Birkengewann mehr „Zwangsbeglückung“ sein soll und weniger eine echte Alternative.
Eine echte Alternative böte die RTW dann, wenn es zu einer echten Tangente Frankfurts in den Ostkreis käme. Unsere diesbezüglichen Fragen konnten jedoch nicht zufriedenstellend beantwortet werden; stattdessen wurde auf ein „künftiges Betriebskonzept“ einer zu planenden Verlängerung verwiesen. Wir haben den Eindruck, dass eine Verlängerung mit den geplanten Ressourcen (eingleisig und 100m-Züge – also eine bessere Straßenbahn) wohl nicht geeignet ist. Eine Tangentialverbindung in den Ostkreis wird realistisch nur als S-Bahn (also mit 200m-Zügen und zweigleisig) ausgeführt werden können. Sollte eine solche Verbindung kommen, droht die Gefahr einer Taktausdünnung der innerstädtischen RTW. Eine Verlängerungsoption und damit eine echte Verkehrsalternative sind nicht erkennbar – damit bleibt der Stummel Stückwerk.
Wir haben seinerzeit einer Weiterplanung über das Stadttor hinaus zugestimmt, weil wir keine Chancen für Neu-Isenburg frühzeitig vergeben wollten. Leider wurde jedoch die vorliegende Planung bereits sehr schnell als alternativlos dargestellt; über eine Tunnellösung – wie von uns vorgeschlagen – wurde gar nicht weiter nachgedacht (es wurde noch nicht einmal eine grobe Kostenschätzung eingeholt), auch die Einrichtung eines Pendelbusverkehrs mit innovativen Antriebstechniken wurde nicht weiter verfolgt. Unserer Überzeugung jedoch gibt die Friedhofstraße eine Gleisführung in der vorgesehenen Form schlicht und ergreifend nicht her und wäre die Realisierung einer solchen Planung mikroökonomisch unsinnig.
Wir Freien Demokraten werben hier, auch wenn es unpopulär sein mag, eindringlich für die Ursprungsplanung einer RTW bis zum Stadttor. Hier könnte verbunden mit dem Umbau der Schleussner-/C.-Ulrich-Straße eine echte Verkehrsentlastung geschaffen werden. Nicht nur würden mehr Einpendler aus dem Umland ohne (weiteren) Umstieg am Bahnhof die zahlreichen großen Arbeitgeber im Gewerbegebiet Süd sowie das IZ erreichen können, sondern es würde auch in dieser Ursprungsvariante erheblicher Binnenverkehr nicht erst zum Bahnhof gelenkt, sondern bereits in der Stadtmitte bzw. an der Wilhelm-LeuschnerStraße aufgenommen werden. Zudem bieten die beiden Straßen und der bestehende Bahndamm bereits jetzt die Möglichkeit, eine Schienenverbindung zu schaffen, ohne den Individualverkehr zwangsweise abzuwürgen. Übrigens glaube ich, dass eine leistungsfähige Friedhofstraße auch den mit rund 1.400 Fahrzeugen überschaubaren P & R-Verkehr zum Endhalt Frankfurter Straße verkraften würde.
Die Entscheidung heute kann nicht nur an mehr oder weniger vollständigen Prognosen ausgerichtet werden – es ist eine politische Entscheidung, ob wir diesen grundlegenden Eingriff in die Infrastruktur der Friedhofstraße wirklich wollen. Aus unserer Sicht überwiegen die Nachteile und es wird angesichts der zu erwartenden Nutzerzahlen im Abschnitt Ost mit der RTW-Kanone auf Spatzen geschossen.
Wir haben daher einen Änderungsantrag zur DS 18/1364 vorbereitet, um dessen Zustimmung wir Sie herzlich bitten.
Neu-Isenburg, den 22.5.2019
Für die FDP-Fraktion
Thilo Seipel
Fraktionsvorsitzender